Heiß auf Medaillen statt Grand Dame im Ruhestand - Annke Conrade will mit Andenken von der WM in Eindhoven heimkehren
Daniel Clausner
01.08.2010

Selbst mit 44 Jahren hat sie den Badeanzug noch nicht an den Nagel gehängt – auch wenn er dort erfahrungsgemäß am schnellsten trocknet. Dass noch nie ein Gedanke an ein Karriere-Ende verschwendet wurde, davon kann jedoch auch keine Rede sein. „Ich habe schon öfters über meinen Abschied vom Leistungssport nachgedacht - das erste Mal nach den Paralympics in Sydney - dieses aber immer wieder hinaus geschoben, beziehungsweise schiebe es noch immer vor mir her“, schmunzelt Annke Conradi, die sich keine langfristigen Ziele mehr setzt, sondern von Saison zu Saison entscheidet, ob sie dem Schwimmsport auf Weltniveau treu bleiben wird. Vor nunmehr gut 20 Jahren nahm die damalige BWL-Studentin, die bereits schon mit 14 Jahren selbstständig das Schwimmen erlernte, in Regensburg erstmals im Rahmen des allgemeinen Hochschulsports ernsthaft Kontakt mit dem feuchten Nass auf. Hier wurden Schwimmkurse für behinderte Studentinnen und Studenten von der SG BeNi e.V. angeboten. Annke leidet von Geburt an an einer Cerebral-Parese – einer Lähmung des Kleinhirns, welche die gesamte Motorik und Bewegungen beeinflusst. Die gebürtige Frankfurterin kann hierdurch ihre Muskeln und Extremitäten nicht immer willkürlich dort einsetzen und kontrollieren, wo und wie sie es grade gern möchte und bräuchte. Zusätzlich ist auch die Koordination der Bewegungsabläufe eingeschränkt, weshalb sie unter anderem mit den Beinen nicht gleichzeitig einen anderen Bewegungsablauf ausführen kann als mit den Armen. Die meisten Wegstrecken legt sie daher im Rollstuhl zurück. Das wirkt sich selbstverständlich auch auf die Fortbewegungsmöglichkeiten im Wasser aus. Die Spitzenschwimmerin kann sich nur auf dem Rücken über Wasser halten und ist auch dann beinnahe ausschließlich auf den mit den Armen zu erzeugenden Vortrieb angewiesen. Wer nun glaubt, dass man mit einer derartigen Behinderung kein geregeltes Leben führen, geschweige denn sportliche Höchstleistungen vollbringen kann, der hat Annke Conradi noch nie in Aktion bewundern dürfen. Die gelernte Diplom-Kauffrau ist mittlerweile als Finanzbuchhalterin und Geschäftsführerin der Finanzverwaltung einer Beratungsstelle und Ambulanten Dienstes für Behinderte tätig. Auch ihre sportlichen Erfolge lassen sich längst schon nicht mehr in aller Vollständigkeit aufzählen – so erschwamm Annke bisher zwei paralympische Gold-, fünf Silber- und drei Bronzemedaillen, erkämpfte zwei Weltmeister- und acht Vizeweltmeistertitel. Nicht zuletzt brachte sie auch auf europäischer Ebene stets unzähliges Edelmetall mit nach Hause. 2004 wurde sie gar mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet – der höchsten Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland für sportliche Leistungen. Einen wesentlichen Anteil an der Erfolgsgeschichte hat Christian Zingler. Der damalige Sportstudent betreute das Junge Schwimmtalent während der Sportstunden des Hochschulsports. Dank dieser Individualbetreuung und Förderung konnte schon bald eine merkliche Leistungssteigerung verzeichnet werden. „Christian schaute dann nach den internationalen Vergleichszeiten in meiner Startklasse und schickte mich 1994 erstmals zu den bayrischen und deutschen Meisterschaften“, erinnert sich Annke an ihre Anfänge. Nachdem sie sämtliche nationalen Rekorde ihrer Startklasse gebrochen hatte, wurde die Schwimmerin des DJK Sportbund Regensburg im Herbst 1994 für die Weltmeisterschaften auf Malta nominiert und ist seither ständiges und unverzichtbares Mitglied der deutschen Nationalmannschaft. Seit September 2001ist Thomas Dollinger Ihr Trainer, der die Erfolgserie fortsetzen konnte. Seit April 2010 startet Annke für den Schwimmclub Regensburg. Im Laufe der Zeit hat die erfahrene Sportlerin viele Eindrücke sammeln, Länder bereisen und Menschen kennen lernen dürfen. Besonders in Erinnerung ist ihr die erste eigens für sie gespielte Deutsche Hymne zu den Europameisterschaften 1997 in Perpignon / Frankreich geblieben. An weitere Highlights kann sie sich ebenso gut erinnern: „Die gesamten paralympischen Sommerspiele in Sydney – inklusive meiner Goldmedaille über 50m Rücken in paralympischem Rekord – zählen zu den unvergesslichen Momenten, die mir der Schwimmsport geschenkt hat.“ In Anbetracht dieser sportlichen Höchstleistungen ist es umso unverständlicher, dass die niedrigen Startklassen, in denen Schwimmer und Schwimmerinnen mit großen körperlichen Einschränkungen verhältnismäßig wenig Beachtung finden. Auch Annke Conrade kann sich dieses Phänomen nicht recht erklären, da gerade in den 16. Jahren ihrer internationalen Laufbahn die Anzahl der Starter nach eigener Aussage deutlich zugenommen hat. Trotzdem findet sie Ansatzpunkte einer Erklärung: „Zum einen ist die Leistungsdichte in den niedrigeren Startklassen nicht so hoch, dass jedes Rennen nur mit einigen Hundertstel Sekunden Zeitdifferenz entschieden wird. Zum anderen liegt es vielleicht auch am langsam aber stetig zunehmenden Medieninteresse: die Leistungen der Schwimmer und Schwimmerinnen in den höheren Startklassen sind für die Medien und das breite Publikum interessanter und einfacher mit den Leistungen nicht behinderten Sportler/Innen zu vergleichen – die Rennen sind schneller und deren Ausgang knapper – so wie man es von packenden Duellen im Pool gewohnt ist.“ Eine Lösung hierfür hat die routinierte Schwimmerin auch nicht parat, will aber durch die eigenen sportlichen Höchstleistungen diesem Trend entgegenwirken und auch für diese Wettkämpfe Interesse wecken. Und das könnte sie noch einige Jahre weiter tun. Immerhin ist der Schwimmsport für Annke mehr als nur ein Hobby. „Es ist fast ein Nebenjob, für den man sehr viel Zeit aufwendet“, berichtet sie. „Der Schwimmsport dient bis zu einem gewissen Grad meiner körperlichen Fitness und ist als einzige Sportart, die ich ausüben kann, ein guter Ausgleich für das ständige Rollstuhlfahren.“ Darüber hinaus kann sie im Wasser sämtliche Bewegungsabläufe leichter und freier ausführen. So wird die Wahl-Regensburgerin dem Schwimmsport wohl noch einige Zeit treu bleiben, anstatt sich dem inneren Schweinehund geschlagen zu geben und regnerische kalte Tage auf der heimischen Caoch zu verbringen, Zumindest bei den Weltmeisterschaften vom 14. bis 21. August im niederländischen Eindhoven will sie erneut um Medaillen kämpfen und möglichst auch ein positives „Andenken“ mit nach Hause bringen. Neben ihr werden 21 Deutsche Schwimmerinnen und Schwimmer im „Pieter van den Hoogenband swimming stadium“ in die Titelkämpfe eingreifen. Folgende Sportler wurden für die kommenden Weltmeisterschaften vom Deutschen Behindertensportverband nominiert:

  • Kirsten Bruhn (S 7/SB 5)-PSV Union Neumünster
  • Christoph Burkard (S 8/SB 6/SM 8) - TV Rottweil
  • Annke Conradi (S 3) - SC Regensburg
  • Niels Grunenberg (SB 5) - PSC Berlin
  • Daniela Schulte (S 11) - PSC Berlin
  • Verena Schott (S 7/SB 5/SM 6) - BV Leipzig
  • Lucas Ludwig (S 10/SB 9/SM 10) - PSC Berlin
  • Sebastian Iwanow (S 6) - TSV Bayer 04 Leverkusen
  • Tanja Gröpper (S 6/SB 4) - TSV Bayer 04 Leverkusen
  • Maike Naomi Schnittger (S 12) - TG Ennigloh
  • Daniel Simon (S 13) - VSG Darmstadt
  • Stephan Engelhardt (S 11) - RSG Langenhagen
  • Swen Michaelis (S 6) - BFV Ascota Chemnitz
  • Robert Dörries (S 13) - FV Wehrda 1919
  • Anika Geller (S 8/SB 7) - BSG Aachen
  • Andre Lehman (S 14) - SC Potsdam
  • Tobias Pollap (S 7) - TV Wattenscheid 01
  • Christiane Reppe (S 9) - PSC Berlin
  • Daniel Schäfer (S 8/SB 7) - PSC Berlin
  • Martin Schulz (S 9/SB 8/SM 9) - BV Leipzig
  • Stefanie Weinberg (S 8) - BV Leipzig
  • Torben Schmidtke (S 8/SB 6/SM 8) - HSC Greifswald
  • Saskia Valentin (S 14) - BVSV Nürnberg

    Gleichzeitig werden Ende August in Olomouc / Tschechische Republik erstmals die IWAS Junior World Games in den Sportarten Leichtathletik und Schwimmen ausgetragen. Als Nachwuchssportler wurden hier für die Schwimmwettkämpfe folgende Sportlerinnen und Sportler nominiert:

    Vera Thamm (S 3/SB 2/SM 3) - TSV Bayer 04 Leverkusen Ellen Breitkreutz (S 8/SB 7/SM 8) - BV Leipzig Vincent Koch (S 7) - PSC Berlin Ben Siara (S 7) - PSC Berlin Hannes Schürmann (S 7) - TSV Bayer 04 Leverkusen Pascal Kowalewski (S 9/SB 8/SM 9) - WASPO Langendreer Jens Heller (S 9) - TSV Bayer 04 Leverkusen Johannes Floors (S 9/SB 8/SM 9) - Nienburger Behinderten Sport

    Die Finalläufe der Titelkämpfe in Eindhoven werden live von paralympicsport.tv übertragen und können täglich ab 17:00Uhr auf www.paralympicsport.tv verfolgt werden. Bereits jetzt wünschen wir allen Teilnehmern viel Erfolg!

    Daniel Clausner